Ehe als Sakrament verstehen
Ansätze für eine notwendige theologische Vertiefung

von Thomas Schumacher

Die Ehe ist kein spezifisch christliches oder gar katholisches Phänomen. Es gibt keine gesonderte christliche Ehe, wohl aber eine besondere Bedeutung einer Ehe unter Christen. Wie das ganze Leben eines Christgläubigen, vom Wirken des Heiligen Geistes unterfasst, durch die innigste Gemeinschaft mit Jesus Christus geprägt ist, und der Christ an der Gemeinschaft des erhöhten Herrn mit dem Vater Anteil hat, so ist auch die Ehe unter Christgläubigen, die mit deren personaler Existenz tief verwoben ist, aufgrund ihres Christseins mit einbezogen in diese innigste Gemeinschaft mit Gott und in die Teilhabe an dessen eigenem Leben, worin die Gnade besteht.
Wie also der Christusglaube, d.h. die tatsächliche Zugehörigkeit zu Christus, einen Menschen bereits unter den Bedingungen der irdischen Pilgerschaft hier und jetzt zu einem anderen macht, so ist auch die Ehe unter Christen, obgleich diese selbst nichts anderes ist als die Ehe, wie sie in den Kulturen der Völker zu finden ist, mitergriffen von jener pneumatischen Unterfassung, miteingetaucht in jene Gnade, welche die ganze Person ergreift, auf das Innigste mit Jesus Christus verbindet und Anteil an dessen eigener Koinonia mit dem Vater verleiht. Dass es keine spezifisch christliche Ehe gibt, sondern spezifisch allein das Christsein der christgläubigen Ehepartner derart ins Gewicht fällt, dass auch die Ehe unter Christgläubigen in deren neues Leben in Christus einbezogen ist, macht den christlichen Sinn der Ehe aus.
Weil die Ehe darin besteht, wie sie gemäß ihrer anthropologischen Struktur in den Kulturen der Völker zu finden ist, bleiben die tiefgreifenden Änderungen in den Wertvorstellungen und in den gesellschaftlichen Formen des Zusammenlebens nicht ohne Bedeutung auch für die Ehe unter Christen. Aus der Perspektive eines traditionellen Verständnisses von Ehe und Familie werden die neueren Entwicklungen als Ausdruck einer kulturellen und sozialen Krise bewertet. Tatsächlich wird das traditionelle naturrechtliche Verständnis von der Ehe in vielen Bevölkerungssegmenten auch unter Christen kaum noch geteilt. Dabei aber stellt sich die Frage, ob die wachsende Bedeutungslosigkeit des naturrechtlichen Modells als Indiz für eine elementare Krise oder als Zeichen für die Kontingenz bestimmter traditioneller Vorstellungen über das Leben in einer institutionalisierten Ehe zu bewerten ist.
Um diese Frage zu klären, bedarf es einer tiefgehenden theologischen Reflexion, was die Ehe ist und was die Ehe als Sakrament bedeutet. Der Blick auf die Theologiegeschichte zur Ehefrage zeigt, wie sehr jeweils vorherrschende Verständnismuster in den einzelnen Epochen sich in der jeweiligen Sicht auf die Ehe niedergeschlagen haben. Dies erscheint umso mehr von Relevanz, insofern die Ehefrage nicht einen spezifisch christlichen Gegenstandsbereich, wie etwa die Feier der Eucharistie, sondern ein mit dem Menschsein einhergehendes und in die Kulturen der Völker vielfältig integriertes Faktum darstellt.
Israel bleibt, bei aller Abgrenzung der eigenen Identität, den gesellschaftlichen Realitäten des altorientalischen Kulturkreises verpflichtet, dem es entstammt. Die Christen der ersten Jahrhunderte heiraten nicht anders als ihre heidnischen Zeitgenossen, nämlich gemäß dem herrschenden kaiserlichen Recht inmitten einer hellenistisch geprägten Multikultur: in Form eines privaten Rechtsgeschäftes unter Familien durch Erklärung des Konsens, wie es in Rom üblich ist – allerdings in strikter Abgrenzung gegen verbreitete heidnische Kulte und gnostische Lehren.
Der Christusglaube aber bringt es mit sich, auch die einzelnen Momente der Lebenswirklichkeit mit aus der Perspektive des Glaubens zu vollziehen und zu verstehen, da die Zugehörigkeit eines Christen zu Christus sich auf sein Leben als ganzes erstreckt. Insofern ist auch die Lebensgemeinschaft der Ehe in die von der Taufe, dem Siegel des Geistes und der Eucharistie her zu interpretierende Lebenswirklichkeit einzubeziehen und »im Herrn« (1 Kor 7,39) d.h. von der Zugehörigkeit zu Christus her zu verorten.
Eine Deutung erfährt die Ehe auf dem Hintergrund der jeweiligen weltanschaulichen Interpretationsmuster. Im agrarischen Milieu Kanaans, in dessen Kontext man den Menschen durch JHWH aus der Erde des Ackerbodens geformt ansieht (Gen 2,4b-25), versteht man die Ehe primär als Geschlechtsgemeinschaft zwecks Zeugung männlicher Nachkommen zur Fortführung der Familie in männlicher Linie. Paulus betrachtet die Ehe als Zugeständnis an die triebhafte Natur jener, die, obgleich zum neuen Menschen in Christus geworden, nicht enthaltsam leben können. Augustinus versteht den Menschen durch die Erbsünde der Konkupiszenz erlegen. Die erbsündlich verdorbene Sexualität führt ihn nur noch mehr weg von seiner Bestimmung zum Aufstieg zur Transzendenz abwärts in das nichtige Elend des Fleisches, woraus der Mensch aus eigener Kraft nicht mehr entrinnen kann.
Das Schicksal des gefallenen Menschen hängt also an der Gnade d.h. an der Anbindung an Christus, was die griechischsprachige Theologie im Modell der Teilhabe bedacht hat. Das ontologisch tiefe und daher anspruchsvolle Konzept der Teilhabe ist in der lateinischsprachigen Theologie des Westens jedoch kaum erreichbar geblieben, so dass eigene Konzepte an dessen Stelle getreten sind. Für die Anbindung an Christus gebraucht Augustinus die Bezeichnung »sacramentum«, in der sowohl der sakrale Charakter eines Treueversprechens wie beim Fahneneid im Sinne einer heiligen Bindung als auch der Charakter der Rechtsverbindlichkeit zum Ausdruck kommt.
Das Konzept vom heiligen Zeichen, als das Augustinus die Einheit des sacramentum bedenkt, wird – im Kontext einer fränkisch germanischen Denk- und Lebenswelt und vor dem Hintergrund des Abendmahlsstreits – in der mittelalterlich-scholastischen Theologie unterschieden in ein materiales Zeichen einerseits und eine dadurch bezeichnete sakrale Sache andererseits, so dass die Einheit des sacramentum zweipolig aufgelöst wird. Das Zeichen wird zum bloßen materialen Gefäß für etwas Eigentlicheres, Bedeutsameres, eine heilige Sache, die als zumessbare Gnade interpretiert wird. Mit dem Verständnis von Gnade in einem juridischen Sinn wird ein weiteres Prinzip der germanischen Denkform in die Sakramententheologie assimiliert. In solch juridischer Perspektive wird Gnade insbesondere als zumessbare Gabe der Erlösung und der Satisfaktion verstanden.
Die Zweipoligkeit von Zeichen und heiliger Sache sowie der juristisch orientierte Fokus führen zur Auseinandersetzung um die Frage, wodurch eine Ehe gültig konstituiert wird. Die Konsenstheorie römischer Herkunft steht gegen eine germanischstämmige Kopulatheorie, Paris gegen Bologna, ein theologischer gegen einen kirchenrechtlichen Fokus. Durch die Papstwahl von Alexander III. obsiegt eine gemäßigte Kopulatheorie, welche fortan kirchenrechtlich maßgeblich wird. Damit wird in Ehefragen eine gewisse Prävalenz der kirchenrechtlichen Dimension der Gültigkeit vor der theologisch-reflexiven Sicht auf die Wahrheit der Ehe als Sakrament Vorschub geleistet. Auf der Basis der scholastischen Sakramentstheologie und vor dem Hintergrund der Leibfeindlichkeit der Waldenserbewegung rückt ein eher positiver Fokus auf die Ehe in den Vordergrund, und die Ehe wird unter die nunmehr definierte Gruppe der sieben Sakramente eingereiht. Der Blick der mittelalterlichen Theologie auf die Ehe erscheint insgesamt als eine konzeptionelle Suche zwischen Zeichen und heiliger Sache, zwischen Konsens- und Kopulakonzept, liturgischem Priestersegen und gnadenwirksamem Sakrament.
Gegen die reformatorische Kritik an den Mißständen in der kirchlichen Praxis bei der Ausübung der Ehejurisdiktion unterstreichen die Aussagen des Konzils von Trient mit antireformatorischer Zielrichtung die Sakramentalität der Ehe als eines der sieben Sakramente. Mehr als um eine theologische Klärung geht es dabei in erster Linie um die Untermauerung der potestas iurisdictionis. Weil die Ehe Sakrament ist, kommt der Kirche in ihren Amtsträgern die Vollmacht zu, das Zustandekommen oder nicht-Zustande-kommen einer Ehe zu beurteilen und dementsprechende Regelungen zu treffen. Vor dem Hintergrund dieser Ausrichtung hat das Konzil von Trient das Faktum der Sakramentalität der Ehe zwar herausgestellt, jedoch keine umfassende oder gar abschließende Darstellung darüber gegeben, was die Sakramentalität der Ehe theologisch im einzelnen bedeutet: etwa inwiefern das Begriffspaar materia und forma zur Anwendung zu bringen, oder wie das Verhältnis von Vertrag und Sakrament zu bestimmen ist. Unterschiedliche theologische Schulen setzen in ihrer Interpretation eigene Akzente.
Nachtridentinisch rückt die Frage der Einheit von Vertrag und Sakrament in den Vordergrund. Das Moment des Vertrags und jenes des Sakraments bilden derart eine innere Einheit, dass eine Ehe unter Christen eo ipso als Sakrament anzusehen ist. Da die Eheschließung als Vertrag unter Getauften mit der Sakramentalität eben dieser Ehe einhergeht, beansprucht die Kirche die Jurisdiktionsvollmacht auch über alle Aspekte der Vertragsschließung. Die Ehe wird dabei insbesondere unter der Rücksicht ihres gültigen Zustandekommens betrachtet. Die Frage nach der Ehe konzentriert sich daher auf den singulären Zeitpunkt der Eheschließung, nicht auf die Ehe als solche. Der Umgang der Kirche mit der Ehe verlagert sich weithin auf die Ebene des Kirchenrechts.
Eine sich verstärkende Dynamik gesellschaftlicher Umbrüche befördert die Gegensätze zwischen Kirche und modernen Gesellschaften, deren vielfältiger werdende Anschauungen und Wertvorstellungen in Widerstreit zum katholischen Verständnis geraten (Absolutismus, Aufklärung, Rationalismus). Der Staat beansprucht die Kompetenz über die zivile Eheschließung (Gallikanismus, Josephinismus, Französische Revolution).
In kulturkämpferischer Auseinandersetzung gegen den Staat moderner Prägung, der sich von jeglicher Unterordnung unter den beanspruchten Führungsanspruch der Kirche emanzipiert hat und, der Maxime einer Trennung von Kirche und Staat folgend, die kirchenunabhängige Zivilehe propagiert, verteidigt die Kirche ihren Anspruch auf die Jurisdiktionsgewalt über die Ehe einschließlich ihres Vertragsabschlusses. Im 19. Jhd. verschärfen sich im Kulturkampf die Konfliktlinien zwischen den sich festigenden Nationalstaaten und der Kirche.
Weil die Ehe Sakrament ist, was seit dem Konzil von Trient nicht mehr hinterfragt wird, der Vertrag unter Getauften aber gemäß etablierter Schultheologie und lehramtlicher Definition (z.B. Arcanum Divinae Sapientiae) mit dem Sakrament per se einhergeht, hat sich der Fokus der Kirche verstärkt auf die Aspekte des Vertrags d.h. auf die Bedingungen für eine gültige oder ungültige Eheschließung gerichtet. Auch in anderen Bereichen ist eine Verrechtlichung zu konstatieren, welche im Kontext der Betonung des körperschaftlichen Charakters der Kirche sowie analog zum Ausbau des Rechtswesens und der öffentlichen Institutionen der aufkeimenden Nationalstaaten dem Stellenwert des Kirchenrechts innerhalb der Kirche eine wachsende Bedeutung zukommen lässt.
Der neu geschaffene CIC/1917 bringt den Vertragscharakter der Eheschließung und ihre eo-ipso-Sakramentalität terminologisch und mit rechtsverbindlichem Anspruch auf den Punkt. Gegenstand des durch Konsens aus freiem Willen zustande kommenden Vertrags ist das gegenseitig dauerhaft und exklusiv eingeräumte »ius in corpus« d.h. das Recht auf geschlechtliche Vereinigung zum dreifachen Ehezweck: Zeugung und Erziehung von Nachkommen, gegenseitige Unterstützung und erlaubte Abhilfe gegen Konkupiszenz d.h. gegen geschlechtliches Begehren. Aufgrund des Konsens wird das Vorliegen eines fortdauernden und gegenseitig exklusiven Bandes als Wirkung aus dem gültig zustande gekommenen Ehevertrag festgestellt. Der Fokus liegt ausschließlich auf dem initialen Zustandekommen einer Ehe.
Gegen die Tendenz zum vorherrschenden juridischen, gesetzhaft-objektivistischen Status Quo entlang aller Bereiche des kirchlichen Lebens führen zahlreiche theologische, liturgische und spirituelle Erneuerungsbewegungen am Beginn des 20. Jhd. zu Paradigmenwechseln im Verständnis u.a. der Ekklesiologie, der Offenbarung, des Wortes Gottes. Ein verstärkt von der Personwirklichkeit her geprägtes Denken, ein erstarkendes Interesse an und ein vermehrtes Wissen um die Geschichte bleiben nicht ohne Konsequenzen für die Gestalt der Theologie.
Für das Verständnis der Ehe bedeutet die neue Sicht auf die dialogische Wirklichkeit des Personseins einen Paradigmenwechsel. Ein Eheverständnis basierend auf Funktion und Vertrag reicht qualitativ nicht hin, das personale Mit-Sein als Begegnungsgeschehen auch nur annähernd zu beschreiben. Dementsprechend wird eine Erneuerung des verbreiteten Eheverständnisses gefordert, um dem umfassenden und tiefreichenden Charakter eines personalen Begegnungsgeschehens zwischen den Partnern einer Ehe in seiner dialogischen Eigenwirklichkeit zu entsprechen.
Die Phase des Übergangs von einer vorwiegend objektivistisch-gesetzhaften hin zu einer verstärkt geschichtlich-sakramentalen Sichtweise gestaltet sich als allmählicher Ablöseprozess. Erst nach und nach verlagern sich Akzente. Das Zweite Vatikanische Konzil findet inmitten dieser Phase des Übergangs statt. Die neue Ansicht auf die Kirche als das pilgernde Gottesvolk statt einer societas perfecta, das neugefasste heilsgeschichtlich und personal geprägte Verständnis der Offenbarung oder die Neubestimmung des Verhältnisses der Kirche zur heutigen Welt katalysieren einen Übergang.
Aus dieser neu erreichten Perspektive einer verstärkten Würdigung des Personseins, setzt die Konzilsversammlung auch in der Lehre über die Ehe einen neuen Schwerpunkt (GS 47-52). Grundlegend bestimmt Gaudium et Spes die Ehe primär als innigste Gemeinschaft des Lebens und der Liebe. Dabei wird die eheliche Gemeinschaft wesentlich als Bund qualifiziert, worin die Eheleute einander schenken und annehmen. Auf dieses grundlegende Verständnis werden alle übrigen Aspekte der Ehelehre fortan bezogen und subsumiert.
Die Reform des Codex von 1983 nimmt das erneuerte Eheverständnis in das Kirchenrecht auf. Der kanonikale Ehebegriff wird dementsprechend wesentlich als Ehebund bestimmt, worin ein getaufter Mann und eine getaufte Frau eine ihr ganzes Leben einbeziehende Schicksalsgemeinschaft begründen, welche durch gegenseitiges Schenken und Annehmen der Personen charakterisiert ist. Diese Neubestimmung der Ehe unterscheidet sich in verschiedener Hinsicht von Verständnis und Begrifflichkeit des CIC/1917. Dies betrifft 1. den definitorischen Begriff selbst, d.h. die Kategorie des Bundes im Unterschied zum Vertrag; 2. den Gegenstand des Bundes »totius vitae consortium« im Unterschied zum früheren Vertragsgegenstand »ius in corpus« sowie 3. den Wegfall einer Zweckbestimmung der Ehe zugunsten einer Formulierung über die Hinordnung der Bundes-Gemeinschaft auf gegenseitiges Wohl sowie Nachkommenschaft.
In der Theologie sind in der Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil vielfältige neue Ansätze zur Bestimmung der Ehe entstanden. Diese nachkonziliaren Interpretationen zeigen ein ganzes Spektrum in der Perspektive sowie in der Akzentuierung zwischen dem personal akzentuierten Eheverständnis der Bundes-Gemeinschaft und dem naturalistisch-geschlecht­lichen Konzept mit Betonung der Fortpflanzung, zwischen einer expliziten Voraussetzung eines Christusglaubens über das Faktum des Getauftseins hinaus als Basis für eine Ehe unter Christen und einem naturrechtlichen Ansatz, der die eo ipso mitgegebene Sakramentalität der Naturehe unter Getauften postuliert, zwischen theologischen und kirchenrechtlichen Kategorien. Die fortschreitende Transformation und Segmentierung des gesellschaftlichen Lebens hat die dringende Notwendigkeit einer theologischen Vertiefung des Eheverständnisses vor Augen geführt.
Die Ehe im christlichen Sinn zeichnet sich dadurch aus, dass das, was Ehe im gesellschaftlichen, kulturellen Kontext meint, aufgrund der anthropologisch weitreichenden und tiefgehenden Bedeutung einer auf das ganze Leben angelegten Lebenspartnerschaft, die so tief reicht, in gewisser Weise füreinander zu sterben, auch für das Leben als Christ, für das Leben in der Gnade, für das Leben in der Teilhabe an Gottes innerer Koinonia eine Bedeutung hat: und zwar nicht nur irgendeine periphere Bedeutung, sondern dass die Ehe im anthropologischen, gesellschaftlichen und kulturellen Sinn für verheiratete Christgläubige sich ihrerseits als Zeichen und Werkzeug für die innigste Gemeinschaft mit Gott sowie miteinander erweist; als Realsymbol der Koinonia Gottes, welche in der koinonialen Ehe-Lebensgemeinschaft die geschenkte Teilhabe an Gottes Koinonia tatsächlich realisiert, weil diese Möglichkeit von Gott her eröffnet ist (ex opere operato), wenn sich Menschen für diese realsymbolische Weise einer in ihrem Leben zu verwirklichenden Koinonia (in opere operantis) entscheiden.
Für die theologische Würdigung der Ehe unter der Rücksicht der Gnade, der Großtat Gottes, der im Heiligen Geist geschenkten Teilhabe der Christgläubigen an der Koinonia des Vaters mit Jesus Christus im Heiligen Geist, ist eine spezifische Perspektive erfordert, welche den Blick nicht zuerst an psychologischen, nicht an kulturellen Konzepten über die anthropologische Ehe festmacht, sondern vielmehr die anthropologisch, gesellschaftlich und inkulturiert gelebte, existierende Ehe unter der spezifisch christlichen Rücksicht der Erhebung der Person in ein Leben der Gnade, nämlich der geschenkten Teilhabe am Leben Gottes selbst, betrachtet.
Insofern ist ein Wechsel der Betrachtungsebene angezeigt. Ehe als Sakrament zu verstehen bedeutet, den eschatologisch tragenden Grund der Ehe in den Blick zu nehmen. Die eschatologische Wirklichkeit der Gnade ist geprägt durch die Hineinnahme der berufenen, erwählten und vom Heiligen Geist unterfassten Schöpfung zur Teilnahme an der perichoretischen Dynamik des inneren Lebens Gottes. Insofern ist auch die Ehe als Sakrament vom eschatologischen Akt dieser perichoretischen Dynamik geprägt. In dieser Einaktigkeit des ewigen Lebens Gottes gründet auch die eschatologische Einaktigkeit der Ehe als Sakrament, was Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe einschließt.
Von diesem eschatologischen Grund der Ehe aus ergeben sich Implikationen für das irdisch-pilgerschaftliche Leben christlicher Eheleute. Denn die eschatologische Dimension erweist sich aufgrund der Leib-Geist-Natur des Menschen raum-zeitlich sowie leiblich-geistig vermittelt. In der Ehe unter Christgläubigen verwirklichen die Partner in ihrer Lebensgeschichte die geschenkte pneumatische Teilhabe an der Koinonia Gottes, nicht nur jeder für sich, sondern der Ehe entsprechend in ihrer Lebensgemeinschaft miteinander.
Die Wirklichkeit der Ehe als Sakrament geht über das hinaus, was die beiden Partner aus sich allein überhaupt zu realisieren vermögen. Die christgläubigen Eheleute verwirklichen ihre Gemeinschaft des Lebens nicht etwa nur nach dem Vorbild von Gottes Liebe, nicht etwa nur nach dem Vorbild von Gottes Treue oder dem von ihm begründeten Bund. In der Ehe als Sakrament nehmen die christgläubigen Eheleute in ihrer Gemeinschaft des Lebens miteinander an der in Gottes innerem Leben selbst bestehenden Koinonia-Gemeinschaft teil in einer Weise, die ihnen von Gott selbst her eröffnet ist. Ehe als Sakrament ist Realsymbol der Koinonia: Die Ehe erweist sich als Zeichen und Werkzeug für die innigste Gemeinschaft mit Gott sowie von eben dieser Koinonia her auch miteinander und in der ganzen Kirche. In diesem Sinn ist die Ehe Sakrament. Als solches ist sie wesentlich Realsymbol, da sie diese Koinonia, deren koinonial-gemeinschaftlicher Charakter in besonderer Weise explizit in der Lebensgemeinschaft sichtbar wird, nicht nur bezeichnet, bildlich darstellt oder darauf verweist, sondern auf symbolische Weise wirklich realisiert.

Quelle: Text entnommen aus: Thomas Schumacher: Ehe als Sakrament verstehen

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